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Was ist „Ich“?

Während der Arbeit an diesem Text, erschien bei mir der innere Film, dass es sich dabei weniger um Wissensvermittlung, sondern vielmehr um einen künstlerischen Akt handelt. Wie das Schreiben eines Musikstücks, oder das Malen eines Bildes. Wie kann man sonst den Versuch bezeichnen, etwas zu beschreiben, was weder beschrieben noch be-griffen werden kann?

Dieser Text ist ein Ausdruck der radikalen Botschaft, die sich hinter dem mentalen Konzept der Non-Dualität verbirgt. Er bietet eine Antwort an für die Frage “Wer oder was bin ich?”.

Das „Ich“ setzt voraus, dass Dualität real ist. Dualität deutet auf die Möglichkeit hin, dass zwei Dinge voneinander getrennt sein können. „Ich“ bin ein Individuum und existiere getrennt von allen anderen Individuen. „Ich“ bin jetzt hier und bewege mich durch Raum und Zeit. „Ich“ habe einen freien Willen und treffe bewusste Entscheidungen. „Ich“ habe ein Leben und einen Körper. „Ich“ bin wichtig und wertvoll. „Ich“ weiß was ich will und habe eine Vorstellung davon, wie „Ich“ es erreichen kann.

Die radikale und schockierende Botschaft der Non-Dualität ist: Es gibt keine Trennung.

Nichts existiert getrennt von allem anderen. Jede Unterscheidung und jede Relation sind nur zum Schein. Sie sind ohne jegliche Substanz und machen nur den Anschein, da zu sein. Sie sind weder echt noch unecht. Das, was erlebt wird – ich nenne es das einfache Sein, das Absolute oder Ist-Heit – ist die absolute Einheit. Sie erscheint als alles, was ist und alles, was nicht ist. In dieser Einheit gibt es kein separates Individuum.

Es gibt dich nicht. Und als wäre das nicht verstörend genug, es hat dich oder sonst irgendwen nie gegeben.

Das „Ich“ ist ein Phänomen, das als Traum bezeichnet werden kann. Während jede Trennung nur zum Schein ist, so ist das „Ich“ eine Illusion. Es existiert schlicht und ergreifend nicht.

Die Illusion des Individuums ist wie eine Rolle, die ein Theaterstück spielt. Sie ist absolut davon überzeugt, dass sie echt ist. Sie ist so sehr in dieses Schauspiel vertieft, dass sie nicht merkt, dass es niemanden gibt, der diese Rolle spielt. Da ist nur das Spielen einer Rolle ohne einen Schauspieler. Wie ein Kind, das ein selbst erdachtes Spiel spielt und so versunken darin ist, dass es um sich herum nichts anderes mehr wahrnimmt.

Die menschliche Erfahrung teilt sich – natürlich nur zum Schein – auf in sensorische (Sehen, Hören, Schmecken, …), körperliche (Ziehen im Bauch, Druck im Kopf, Kribbeln in den Händen, …) und mentale Erscheinungen (Fantasien, Erinnerungen, Gedanken, …) auf. Alles menschliche Erleben kann in diese drei Typen der Erfahrung unterschieden werden.

Das „Ich“ ist überzeugt davon, dass es all diese Erfahrungen auf eine gewisse Art besitzt. Da ist die Überzeugung, dass diese Erfahrungen dem „Ich“ widerfahren und teilweise vom „Ich“ erzeugt werden. „Ich überlege mir mal was …“, „Ich denke mir was aus …“ usw.

Egal woran du festmachen könntest, dass du echt bist, erscheint als menschliche Erfahrung. Und diese Erfahrung macht niemand. Sie ist einfach da. Sie erscheint jedoch für niemanden.

Neben den Wahrnehmungen, Empfindungen und Gedanken ist die “Ich”-Illusion als Anspannung im Körper verankert. Es ist die Anspannung eines Kleinkindes, das noch nicht zwischen „Ich“ und „Mutter“ unterscheidet. Wenn die Mutter das Zimmer verlässt, so spannt es sich innerlich an, in der Hoffnung, dass die Mutter wieder zurück kommt. Auf diese Art hält es erst an der Mutter, und später an einem erdachten Selbst fest.

Das „Ich“ umfasst eine Reihe von Überzeugungen. „Ich“ habe eine Zukunft. „Ich“ bin mir sicher, dass es einen Moment in der Zukunft gibt, in dem „Ich“ eine bessere Erfahrung machen kann, als die, die „Ich“ genau jetzt in diesem Moment mache. Darum mache „Ich“ mich auf die Suche nach einer besseren Zukunft. Wenn „Ich“ herausfinde, wer „Ich“ wirklich bin, wenn „Ich“ die richtigen Entscheidungen treffe, wenn „Ich“ es nur richtig anstelle und es nicht verbocke, wenn „Ich“ mich ausreichend anstrenge, dann werde „Ich“ es schaffen.

Das Paradoxe daran ist, dass das „Ich“ und die Suche nach dem Besseren dasselbe sind. Solange „Ich“ suche, bleibe „Ich“ am Leben und lenke davon ab, dass es nur diesen jetzigen ewigen Augenblick gibt, der bereits vollkommen stimmig ist. Die Suche, also das „Ich“, verdeckt auf gewisse Art, dass nichts verloren und eine Suche somit hoffnungslos ist. Und würde die Suche aufhören, so würde die Vollkommenheit des jetzigen Augenblicks erkennbar werden.

Würde das „Ich“ akzeptieren, dass dieser einfache und gewöhnliche Moment hier und jetzt alles ist, was da ist, so würde es augenblicklich wegfallen. Das wäre der Tod für das „Ich“. So versucht es alles, um das zu verhindern. Ein Individuum kann Erleuchtung nicht wollen. Es hat Angst vor der Erkenntnis, dass es nie existiert hat.

So wie die Suche und das „Ich“ eins sind, so sind auch „Ich“ und Be-greifen eins. Mentale Erfahrungen wie „Ah, ich verstehe das.“ sind gleichzusetzen mit dem Individuum. Der Gedanke und der Denker sind ein und dasselbe. Das führt dazu, dass das „Ich“ sich nicht aus dem „Ich“-Sein heraus denken oder heraus verstehen kann. Jegliches Verstehen hält die Illusion eines separaten Individuums nur weiter am Leben. Somit steckt das „Ich“ in einem Hamsterrad fest, aus dem es mit eigener Kraft nicht rauskommen kann. Es kann nichts tun, um sich selbst abzuschaffen.

“Du” bist der Traum und der Träumer zugleich. Endet der Traum, so ist es auch das Ende des Träumers und niemand wacht auf.

Wenn Erwachen eintritt, löst sich die “Ich”-Anspannung im Körper auf. Es erscheint die Klarheit darüber, dass da schon immer nur sensorische, körperliche und mentale Erfahrungen waren und immer noch sind. Diese haben allerdings nichts mit einem Subjekt oder einem Objekt zu tun. Es ist einfach nur das, was gerade ist. Ohne den Bedarf, es an eine illusorische und vom Rest der Welt losgelöste Entität „Ich“ zu heften.

Endet die „Ich“-Illusion, so erscheint die Gewissheit darüber, dass es niemanden gibt und nie jemanden gab, der am Steuer saß. Es ist die Gewissheit und Klarheit über die Unmittelbarkeit des einfachen Seins. Alles geschieht aus sich heraus, ohne Ursprung, ohne Ziel.

Alles, was dem Anschein nach da ist und schon immer da war, ist dieser einfache und ewige Moment. Das einfache Sein. Das Absolute. Das Nichts, das als alles erscheint.

Dieses einfache Sein entzieht sich jeder Beschreibung. Es ist erfahrbar, jedoch nicht durch mentale Konzepte be-greifbar.

Diese Ist-Heit erscheint in diesem Moment als das Lesen dieser Worte. Ihm fehlt nichts und es gibt nichts, was daran zu viel ist. Er ist vollkommen, frei und bereits verwirklicht. Mehr wird es nie geben, und genauso wird es nie weniger geben. Er ist ungeboren und unsterblich. Der Anfang und das Ende.

Einfach Sein.